Volker Blum, Schulamt

Vortrag Enquetekommission am 26.6.2016

Selbstständige Schule und Schulaufsicht – Neue Steuerung seit Pisa

 

Mit der „Neuen Steuerung“ fand ein Paradigmenwechsel von der inputorientierten zur ergebnisorientierten Steuerung in den Schulen und der Schulaufsicht statt. Mit der Zusammenführung der Budget- und Qualitätsverantwortung wurde den Schulen der Weg zu mehr Eigenverantwortung und damit zu mehr Selbstständigkeit geebnet. Das ist eine gute Botschaft, denn mehr Eigenverantwortung ist motivationsfördernd und somit ein Schlüssel zur Qualität.                                                                                                                             Die Schule mit mehr Eigenverantwortung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie datengestützt und ergebnisorientiert arbeitet, sich als Lernende Organisation versteht, ihre Qualität und Organisation im Team weiter entwickelt und die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden fördert.

Ihre Arbeitsgrundlagen und Ziele sind verbindlich für alle Akteure im Leitbild der Schule und ihrem Schulprogramm dokumentiert und die Schule legt Rechenschaft ab über ihre Arbeit, deren Ergebnisse und Wirkungen.

Das gilt analog auch für die Weiterentwicklung der Staatlichen Schulämter, denn die so verstandene Selbstständige Schule braucht eine kompetente, respektierte, engagierte und starke Schulaufsicht auf Augenhöhe, die fördert und fordert, die die Stärken und Entwicklungsbedarfe der Schulen in der Bildungsregion kennt, die sich über die Arbeit der Schulen vor Ort informiert, anstatt im Staatlichen Schulamt Excel-Tabellen zu pflegen.

Im Übrigen sind weitere Anstrengungen zu unternehmen, um ein praktikables Qualitätsmanagementsystem verbindlich für alle Schulen und das Bildungsmanagementder Schulaufsicht zu etablieren, die Schulungen der Steuergruppen hierzu zu intensivieren und ein Anreizsystem zum Mitmachen zu schaffen.

Das Bildungsmanagement reagiert auf aktuelle Entwicklungen, auch in Abstimmung mit den kommunalen Schulträgern, bei der Schulentwicklungsplanung, aber auch kurzfristig, wie z.B. bei der  Beschulung von Flüchtlings- und Migrantenkindern.

Im Rahmen des Konfliktmanagements, z.B. bei Beschwerden zu Unterrichtsausfall oder Personalproblemen, reagiert und interveniert das Staatliche Schulamt als Dienst- oder Fachaufsicht u.a. durch Anforderung  von Stellungnahmen, Anhörungen, Gespräche mit Betroffenen, Dienstgespräche, Unterrichtsbesuche, Teilnahme an Schulkonferenzen und gegebenenfalls durchSanktionen im Rahmen seiner Zuständigkeit.

Aktuelle Entwicklungen führten z.B.zur Einrichtung der Aufnahme- und Beratungszentren (ABZ) in den Staatlichen Schulämtern zur Organisation der Beschulung von Flüchtlings- und Migrantenkindern inDeutschintensivklassen und InteA-Gruppen (Integration und Abschluss) und zur Gestaltung der schulpsychologischen Betreuung traumatisierter Flüchtlingskinder.

Die regionale Schulaufsicht reagiert auf Zahlen, Daten, Fakten in der Bildungsregion und an einzelnen Schulen, wie z.B. Ergebnisse von Lernstandserhebungen, Übergangs- und Abbrecherquoten mit Schulentwicklungsgesprächen, Zielvereinbarungen, auch Zielvorgaben, Schulleiterdienstversammlungen, schulübergreifenden Arbeitsgruppen, passendenFortbildungsangeboten und der Entwicklung eines regionalen Bildungsprogramms.

Auf gleiche Weise werden auch die bildungspolitischen Vorgaben des jeweiligen Bundeslandes bearbeitet. Auch in diesem Kontext ist anzumerken, dass die derzeitige Personalausstattung der Staatlichen Schulämter, insbesondere bei der Fachaufsicht, den beschriebenen Anforderungen nicht genügt.

Bei der vertikalen Kooperation sollte sich der Umfang der Direktiven von oben auf das notwendige Maß beschränken. Die horizontale Kooperation der Staatlichen Schulämter kann sich auf Wissens- und Erfahrungstransfer, auch mit Critical Friends und Peer-Reviews,konzentrieren. Eine überschaubare Größe der vor Ort agierenden Schulaufsicht fördert die Dialoge mit zahlreichen Institutionen, Gremien und Akteuren in den Bildungsregionen, „weil man sich kennt und schätzt“, aber auch aufgrund handhabbarer Entfernungen.

Sehr großen Nutzen für alle Akteure bringt eine freiwillige und zwischen den Beteiligten institutionalisierte Zusammenarbeit in einer Bildungsregion, die auf Augenhöhe und mit Einigungszwang in den gemischt besetzten Gremien gelingt.

 

Die flächendeckende und wiederkehrende externe Evaluation ist mit zunehmender Eigenverantwortung der Schulen durch interne Evaluation und Metaevaluation zu ersetzen. Diese weiterentwickelte Form der Rechenschaftslegung mit Hilfe interner Evaluation sollte als neue Gestaltungsaufgabe den Staatlichen Schulämtern übertragen werden.                                              

Vor allem deshalb, weil die schulfachlich Zuständigen die Arbeit „ihrer“ Schulen kennen und deshalb eine anlassbezogene externe Evaluation zielgerichteter planen und einsetzen können, aber auch um den Verwaltungs-, Gestaltungs- und Kostenaufwand bei mindestens gleich guter Ergebnisqualität zu reduzieren. Die zum Gelingen notwendigen Fortbildungsmaßnahmen auf allen Ebenen des Bildungsmanagements müssen organisiert und angeboten werden, um den Beteiligten ein professionelles Repertoire zur Selbstevaluation an die Hand zu geben.

Eine an den aktuellen Entwicklungen orientierte Fort- und Weiterbildung des Personals des Bildungsmanagements auf allen Ebenen sollte intensiviert und verstetigt werden (Coaching, Schulentwicklungsgespräche, Feedback- und Evaluationskultur, Projektmanagement, Qualitätsmanagement, …). Auch hier ist die Voraussetzung für das Gelingen die angemessene Personalausstattung im Bildungsmanagement, insbesondere beim schulfachlichen Aufsichtspersonal in den Staatlichen Schulämtern.

Die Leiterinnen und Leiter der selbstständigen Schule haben die Qualitäts-, Organisations-, Personal- und Budgetverantwortung bezüglich der zugewiesenen Schulträger- und Landesmittel. Sie brauchen auskömmliche und verlässliche Budgetzuweisungen sowie handhabbare Verwaltungsmodalitäten und zusätzliches Verwaltungspersonal. Schulleiterinnen und Schulleiter sind Dienst- und Disziplinarvorgesetzte, Beurteilende und Chefs eines Teams in einer Lernenden Organisation. Sie brauchen Kontinuität und Ruhe zur Gestaltung ihrer langfristig angelegten Entwicklungsvorhaben. Diese Verlässlichkeit zum Mitwirken und Mitgestalten brauchen auch die Gremien der einzelnen Schule.Das Leitungspersonal der Schulen beklagt die ständig zunehmende Bürokratisierung.

Die ständig wachsende Aufgabenvielfalt bei hoher Unterrichtsverpflichtung führt insbesondere bei Grundschulen dazu, dass es zunehmend schwieriger wird, Schulleiterstellen mit geeignetem Personal zu besetzen. In allen Gesprächen mit Schulleitungspersonal von Grundschulen wird mir bestätigt, dass die Erhöhung der Schulleitungsdeputate in den kleinen Systemen dringend erforderlich ist.

 

Die Aufgaben der Schulaufsicht werden durch die selbstständigeren Schulen nicht einfacher und weniger. Sie nehmen zu, verändern sich, werden komplexer und anspruchsvoller. Die Staatlichen Schulämter müssen zunehmend die Schulen als Partner mit steigender Gestaltungskompetenz wahrnehmen, das Umfeld der zu beratenden Schule gut kennen, auf verbindliche Zielvereinbarungen hinwirken, Instrumente und Methoden zur Qualitätssicherung kennen und deren Anwendung initiieren und unterstützen. Diese und weitere Anforderungen entsprechen dem dialogischen Verständnis von Schulaufsicht, das sich auf eine Kultur des Vertrauens stützt, sich durch Partizipation, Transparenz und Selbstbestimmung auszeichnet, aber auch Klartext spricht und fordert.

Hieraus ergeben sich steigende Erwartungen an soziale, kommunikative und fachliche Kompetenzen des schulfachlichen Aufsichtspersonals zur Prozessbegleitung, Arbeit mit Zielvereinbarungen und zu datengestützten Schulentwicklungsgesprächen.

Zentrale Aufgabe der Schulaufsicht sind und bleiben die Qualitätssicherung und Gewährleistung schulischer Selbstgestaltung, Förderung der Selbstevaluation der Schulen und deren Unterstützung bei der Entwicklung einer zielführenden und allseits akzeptierten Evaluationskultur.

Ich halte es für geboten, die Zahl der Stellen der Aufsichtsbeamtinnen und –beamten in den Staatlichen Schulämtern, insbesondere des schulfachlichen Personals,deutlich zu erhöhen und diese Stellen mit geeignetem Personal mit Schulleitungserfahrung zu besetzen. Die Entlastung des Fachaufsichtspersonals von Personalbewirtschaftungs- und Verwaltungsaufgaben ist in diesem Kontext anzumahnen.

Nicht nur in den Schulen, sondern auch im Bildungsmanagement sind die Voraussetzungen zu optimieren, dass kein Kind zurück bleibt, Chancen erhöht werden und Scheitern verhindert wird, denn der Bericht „Bildung in Deutschland 2016“ zeigt, dass trotz hoher Ausgaben und positiver Trends noch eine Menge zu tun ist, um Bildung gerechter und erfolgreicher zu gestalten.

 

EMPFEHLUNGEN:

  • Bildungsmanagement statt Bildungsverwaltung.
  • Staatliche Schulämter sind pädagogisch wirkende regionale Qualitätsagenturen mit Beratungs- und Unterstützungsauftrag für die Schulen mit mehr Eigenverantwortung.
  • Schulen mit mehr Eigenverantwortung brauchen eine kompetente und starke, gegebenenfalls auch forderndepädagogische Schulaufsicht / Fachaufsicht.
  • Das dazu erforderliche Personal, möglichst mit Schulleitungserfahrung,  ist zur Verfügung zu stellen.
  • Eine Schulaufsicht kann nicht respektiert werden, wenn sie unter Mangelsituation leidet, sie ist nicht handlungsfähig.
  • Die frei werdenden Stellen sind zeitnah zu besetzen (16% von 115 schulfachlichen Stellen sind derzeit nicht besetzt).
  • Entlastung der schulfachlichen Aufsichtsbeamtinnen und – beamten von Verwaltungsaufgaben.
  • Institutionalisierte Kooperation der Schulträger und der Staatlichen Schulämter in den Bildungsregionen ermöglicht das Überschreiten von Zuständigkeitsgrenzen.
  • Eine zweistufige Schulaufsicht für  Schulen aller Schulformen ist effizient.
  • Die Zahl der Staatlichen Schulämter wird nicht reduziert, um die Nähe zu den Bildungsregionen und ihren Akteuren als wichtigen Gelingensfaktor zu erhalten.
  • Schulformübergreifende ist schulformbezogener Schulaufsicht vorzuziehen.
  • Schulinspektionen werden anlassbezogen, im Auftrag der Schule oder der Schulaufsicht, durch Personal des Staatlichen Schulamts durchgeführt.
  • Die Entwicklung einer regionalen Qualitäts- und Evaluationskultur wendet zunehmend Methoden und Instrumente interner Evaluation und von Metaevaluation mit dem Ziel an, Chancen zu erhöhen und Scheitern zu verhindern.
  • Schulen und das Staatliche Schulamt dokumentieren in ihren Programmen u.a. die aktuellen Entwicklungsvorhaben und ihren Fortbildungsbedarf.
  • Für Schulen und Schulaufsicht wird verbindlich ein praktikables Qualitätsmanagementsystem eingeführt; die notwendigen Qualifizierungskampagnen werden organisiert und durchgeführt.
  • Es könnte Sinn machen, die Zuständigkeiten für Kitas, Schulen und Hochschulen zusammen zu führen.
  • Die Leitungszeit, insbesondere für die Leiterinnen und Leiter der Grundschulen muss erhöht werden.
  • Das Staatliche Schulamt als Regionale Qualitätsagentur ist vorrangig ein pädagogisches Amt mit Dienst- und Fachaufsicht.

 

 

Volker Blum

24. 6. 2016